Das Dilemma der Kommunalpolitik

Problem des Anspruchs von und an kommunalpolitisch Aktive – Was ist Kommunalpolitik?

Wikipedia gibt eine kurze Definition von Kommunalpolitik und verweist freundlicher Weise auch auf die gesetzliche Verankerung:

„Kommunalpolitik ist die politische Arbeit in Gebietskörperschaften auf der kommunalen Ebene von Gemeinden bzw. Städten oder in Landkreisen und Verwaltungsbezirken, sowie Stadtbezirken, Stadtteilen oder Ortsteilen.“

Die Städte und Gemeinden der Bundesrepublik Deutschland haben das im Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz garantierte Recht auf kommunale Selbstverwaltung, das heißt sie können ihre eigenen Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze selbst und eigenverantwortlich regeln und entscheiden. Dafür werden von den Bürgern Gemeindevertretungen und Bürgermeister gewählt.“

Was in dieser Definition leider nicht steht, ist die Bedeutung der Kommunalpolitik, die so unterschiedlich für jeden Einzelnen sein kann, wie der Modegeschmack. Und wenn man über Bedeutung fabuliert, dann kommt automatisch auch die Erwartung an das Ganze zur Sprache.

Diese Bedeutung variiert von „Kommunalpolitik ist das Basislager für unsere Demokratie und die Kommunen das Fundament unserer Gesellschaft.“ über „Die wichtigen Entscheidungen werden sowie nicht in unserer Stadt getroffen.“, „Nirgends kann man so schnell den Erfolg seiner Bemühungen sehen, wie in der Kommunalpolitik.“ und „Kommunalpolitik ist sachbezogen und wertneutral.“ bis zu „Die Hobbypolitiker kriegen eh nichts auf die Reihe.“ – und das sind sicherlich nur ein paar Extremfacetten.

Warum dieses Meinungsbild?

Um diese Frage auf den Punkt zu bringen: Da gibt es tausend Gründe! Oder um es noch deutlicher zu sagen: Ich weiß es nicht!

Ich möchte aber eine Lanze für viele Kommunalpolitiker brechen: Es hat in den seltensten Fällen, etwas mit ihnen persönlich zu tun!

Spannungsverhältnisse in der Kommunalpolitik

Auch Kommunalpolitiker sind eben Politiker. Sie werden vom Souverän für eine bestimmte Dauer gewählt und – so sie denn die Ambitionen haben, ihre Bemühungen fort zu führen – stellen sie sich alle Jahre wieder dem geneigten oder eben nicht geneigten Wähler – Ausgang ungewiss.

Dieser Umstand bringt es jedoch in der Konsequenz mit sich, dass auch Kommunalpolitiker Lobbyisten erster Klasse sind. Im Idealfall ihrer Wähler, im Normalfall ihrer Klientel, dem sie sich verschrieben haben (Parteien, Bürgerinitiativen, Sportvereine, Interessenverbände, Wirtschaftsunternehmen) und im schlimmsten Fall sich selbst. Sachpolitik und Entscheidungen nach qualitativen und quantitativen Kriterien finden sich in der Kommunalpolitik sicherlich immer noch mehr als im ideologisch geprägten „Überbau“, aber von der romantischen Idealvorstellung, dass verschiedene Damen und Herren an einem Tisch sitzen und losgelöst vom machtstrategischen Zukunftsüberlegungen sachliche Entscheidungen treffen, sollte man sich lösen. Um es einmal auf den Punkt zu bringen: auch wenn man vor schlagenden Argumenten niemals die Augen verschließen kann, ist dies jedoch nicht die einzige Aufgabe von Politik. Nicht im Bundestag, nicht in Landtagen und auch nicht in kommunalen Parlamenten. Gerade Kommunalpolitik ist das (laute) Streiten um den Weg und das Ziel – das gehört dazu, wie die Predigt in der Kirche.

Wenn man diese Tatsache für sich akzeptiert, dann hat man auf jeden Fall eine Voraussetzung zu kommunalpolitischen Aktivitäten erfüllt. So baut man auch Desillusionen vor und man sollte sich auch nicht scheuen, dies so seinen Mitmenschen zu erklären.

Spannungsfeld 1: Fachpolitiker, die alles können müssen wollen

Der normale Alltag eines Gemeinderatsmitgliedes besteht meiner Erfahrung nach zu einem Großteil aus Lesen. Bei einer anstehenden Sitzung fallen nicht selten mal 1000 Seiten Beschlussvorlagen, Anträge und Informationen an. 1000 Seiten zum Lesen, für jemand der (hoffentlich) mit beiden Beinen fest im Leben steht, der Beruf und Familie mit Freizeit und Freunden unter einen Hut bringt und dann auch noch 1000 Seiten lesen will – nicht unmöglich, aber sicherlich schwierig. Daher ist es normaler Weise geboten, auch in der Kommunalpolitik eine Aufgabenteilung vorzunehmen. Es gibt eben Fachpolitiker, die sich mehr mit Finanzen beschäftigen, andere mit dem Bauen in der Stadt, wieder andere, die die Anforderungen der freiwilligen Feuerwehr im Auge haben, und vielleicht auch noch ein paar, die Kinder- und Jugendarbeit nicht nur als Zahlenwerk verstehen, sondern auch wissen, was es heißt, eine Kita mit pädagogischem Konzept zu betreiben oder was der Sinn und Zweck bzw. auch der gesamtgesellschaftliche Nutzen offener Jugendarbeit ist. Das bevorzugte Milieu hat auch etwas mit der zuvor erwähnten Lobbyismus-Ausprägung zu tun – aber auch damit, dass man sich ein wenig mit der Materie auskennen sollte, über die man (öffentlich) diskutiert.

Dieser Umstand hat zur Folge, dass es wirklich kaum jemanden geben kann, der sich mit allen Vorlagen im Detail beschäftigt. Das ist nicht schlimm – man sollte sich jedoch damit im Vorfeld beschäftigen und andere darüber aufklären.

Auf der Straße wird man jedoch wegen ALLEM angesprochen. Wirklich wegen ALLEM. Und zu gerne nimmt man sich dann auch ALLEM an. Wirklich ALLEM. Man ist eigentlich ein Mitarbeiter der Verwaltung, der sich eben nebenbei und ehrenamtlich mit all den Dingen den ganzen Tag beschäftigen muss – im Zweifelsfall ohne Feierabend und ohne Wochenende. Das hält auf Dauer kein Mensch aus, aber das Gegenüber erwartet genau das. „Bei den paar Themen steckst du nicht bei allem im Detail – ist ja peinlich!“ Aber: Es brauch Fachleute beim Hausbau genauso wie Fachpolitiker in der Kommunalpolitik.

Spannungsfeld 2: Über was entscheiden wir eigentlich oder besser: Wer nimmt uns welche Entscheidungen ab?

Kommunalpolitik kann so facettenreich sein. Spannende und wichtige Entscheidungen werden vor Ort getroffen. Man verkauft Grundstücke, beschließt Geschäftsordnungen und Satzungen, man kann alles machen wie man will. Alles? Naja, fast! Wie man will? Naja, so wie andere den Rahmen setzen.

Es gibt vereinfacht drei Arten von Aufgaben, die eine Gemeinde wahrnimmt:

Da wären erstens die freiwilligen Aufgaben. Schwimmbad, Jugendclub, Bibliothek, Infrastrukturausbau. Freiwillig deshalb, weil es dafür keine Vorgaben höherer Ebenen, wie zum Beispiel Bundestag oder Landtag gibt. Hier kann eine Gemeinde sich frei entfalten. Im Rat wird also sowohl über das OB als auch über das WIE diskutiert. Man könnte beispielsweise darüber nachdenken, ob man das ganze Jahr über den Kammeraden der Freiwilligen Feuerwehr als Anerkennung ihrer Bemühungen um die Sicherheit vor Ort gestattet, die erholende Nutzung des städtischen Schwimmbades kostenfrei zu benutzen.

Oder: wie viel Geld geben wir in diesem Jahr aus, um dem Bestand in unserer Bibliothek zu erneuern.

Oder: Sanieren wir in diesem Jahr die Tartanbahn des Leichtathletikstadions.

Keiner macht uns bei all dem Vorgaben. Das einzige was wir sicherstellen müssen, ist die Finanzierung. Dass die Finanzierung solcher Maßnahmen im Speziellen und die finanzielle Situation der Kommune im Allgemeinen auch nicht ganz so von Freiwilligkeit geprägt ist, wird an anderer Stelle noch beschrieben.

Als nächstes gibt es pflichtige Verwaltungsaufgaben. Das sind Aufgaben, die man der Gemeinde mittels Gesetzen und Ordnungen auferlegt hat, sie aber selber entscheiden kann, wie sie dieser Verpflichtung nachkommt. Beispiele gefällig? Bauleitplanung, Feuerschutz, Abwasserbeseitigung, Schulentwicklungsplanung, Katastrophenschutz, Anlage/ Unterhalt von Kindergärten und Horte und und und. Das sind quasi Aufgaben, die man uns als Kommune seitens des Gesetzgebers aufgegeben hat und um die wir uns finanziell eigenständig oder gemeinsam mit den Aufgaben-Delegierenden zu kümmern haben. Dabei kann man im Rat treffliche über das WIE streiten – nicht aber über das OB! Das weicht natürlich alles auch immer ein wenig von Bundesland zu Bundesland ab und viele Länder zahlen auch mal für das ein oder andere mit oder sogar ganz.

Ein griffiges Beispiel für übertragene Aufgaben wären zum Beispiel Schulen. Die Zuständigkeit für Schulen liegt im jeweiligen Bundesland. Es macht Lehrpläne, bezahlt die Lehrer, die Angestellte oder Beamte des Landes sind. Die Trägerschaft der Schulen ist aber kommunal verankert, also entweder Kommune oder Kreis sind für sie zuständig und tragen dann mit Sachkosten für den Betrieb und Instandhaltungs- bzw. Renovierungsmitteln zum Erhalt der Gebäudesubstanz (meistens gehört das Gebäude dann natürlich der Stadt) bei. Gibt das Land jetzt andere Prämissen – beispielsweise für die Mindestschüleranzahl einer Schule vor, kann die Gemeinde viel jammern. Erfüllt eine Schule die Mindestanforderungen nicht, gibt es kein Geld dafür – die Schule muss geschlossen werden. Die Prügel für die generelle Schulschließung kriegt das Land. Die Prügel für die Auswahl der Schule kriegt der Gemeinderat – das ist auch eine Form der Gewaltenteilung.

Und dann gibt es Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung. Und richtig, nach der Logik der ganzen Obs und WIEs, gibt es für die Kommune hier gar keine Entscheidung OB und WIE das ganze ausgeführt wird. Der Logik der Finanzmittelzuweisung ist es jedoch an dieser Stelle geschuldet, dass derjenige, der vorgibt, was wie zu erfüllen ist, auch die Zeche zahlt – zumindest mit zahlt. Ein Beispiel wäre die Grundsicherung im Alter.

Das Wort Pflicht verdeutlicht die Priorität. Das pflichtige zuerst, dafür auch zuerst das Geld, dann das freiwillige! Wie lange dafür das Geld reicht? Nächstes Spannungsfeld bitte!

Aber kurz vorher noch: Man sieht, dass der Gemeinderat nicht alles nach seinen Vorstellungen gestalten kann. Vieles wird ihm vorgegeben, eine Nichtbeachtung würde auch einen Bruch gültigen Rechts bedeuten. Und auch Satzungen und Ordnungen (wie zum Beispiel eine Gefahrenabwehrordnung) kann nicht so gestaltet werden, wie es aus Sicht der Kommune notwendig ist, sondern hat sich geltendes Recht zu halten. Ein Umstand, der auch nicht wirklich immer schlecht ist. Aber ein Umstand den sich Gemeinderäte und die, die es werden wollen, bewusst machen dürfen.

Spannungsfeld 3: klamme Kassen bringen klamme Beschlüsse

Unsere Städte und Gemeinden haben immer weniger Geld. Ist traurig – ist aber so, auch wenn in den letzten Jahren viele Schulden abgebaut werden konnten. Da wie im Abschnitt zuvor beschrieben, zunächst alle pflichtigen Aufgaben erledigt und entsprechend bezahlt werden müssen, gibt’s danach das große Geschachere um die übrig gebliebenen Krümel. Man kann das nicht pauschalisieren, aber eine Kommune gibt so über den Daumen gepeilt etwa 5 bis 6 Prozent seiner Ausgaben im freiwilligen Bereich aus. Mehr ist nicht drin.

Wenn man nun bedenkt, dass ALLE Investitionen (auch Straßen) daraus bedient werden müssen, dass ALLE Freizeiteinrichtungen wie Bäder und Jugendeinrichtungen, Kitas und Schulen, so denn sie sich in der Trägerschaft der Kommune befinden, bezahlt werden, wirkt das nicht nur mau – es ist auch so.

Vielleicht sollte man noch einen kurzen Schlenker zu Gemeindefinanzierung machen. Aufgaben, die übertragen wurden, werden meist auch vom Überträger bezahlt – nicht immer voll, aber zumindest anteilig. Das heißt viele der Zuwendungen – eine der Haupteinnahmen – die die Kommune erhält, sind zweckgebunden. Die nächste wichtige (und fast auch schon einzig weiter nennenswerte) Einnahmequelle ist die Gewerbesteuer. Aus ihr ist dann folglich auch fast alles Freiwillige zu finanzieren. Dieses Prozedere folgt einer inneren Logik, die sich gerne mit Wörtern wie Leistungsfähigkeit umschreiben lässt und eigentlich aus dem Betriebswirtschaftlichen Raum entstammt: Die Kommune kann sich also nur Freiwilliges im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit leisten.

So. Das ist es. Und hier kommt dann der gemeine Gemeinderat wieder ins Spiel. Dort wo wenig zu verteilen ist, kann wenig mit Frohlocken und guten Neuigkeiten hantiert werden. Das Gegenteil prägt in vielen Städten und Gemeinden das Bild vom Rat. Es wird darum gestritten, was zu gemacht wird. Was auch angesichts der geringen „Spielmasse“ an freibeweglichen Mitteln und dem vielen zu erledigenden Aufgaben bei gleichzeitig enormen Spardruck durch die Kommunalaufsichten (diese sind bis dahin noch gar nicht erwähnt und hätten eigentlich ein eigenes Spannungsfeld verdient, werden aber ab jetzt nicht mehr genannt!) logisch ist.

Aber nur weil es logisch ist, ist es nicht gleich richtig. Geld kann man nur einmal ausgeben. Deshalb ist die Haushaltsdiskussion, die Königsdisziplin eines jeden Parlaments, auch immer von einiger Emotionalität geprägt. Aber wenn man ehrlich ist, geht es dabei um nicht so viel Geld, wenn man sich die Summen anguckt. Sehr wohl geht es um sehr viel Geld, wenn man sich die Bedeutung dieser freiwilligen Aufgaben für die Kommune anschaut.

Man kann im übrigen Beschlüsse und Anträge unter vielen Gesichtspunkten diskutieren – einer ist immer dabei: Unter dem Gesichtspunkt des Haushalts.

Spannungsfeld 4: Öffentliche Wahrnehmung von ehrenamtlicher Tätigkeit

Die allermeisten Gemeinderatsmitglieder sind Ehrenamtler. Auch wenn das kein Wähler so richtig wahrhaben will: Wir sind eigentlich alle Bekloppte, die ihre (in den meisten Fällen sicherlich verdiente) Freizeit, damit zu bringen, dem Allgemeinwohl (1000 Seiten lesen!!!) helfen zu wollen. Nicht wie der Wähler in einem Verein oder Ähnlichem, wobei es kaum einen Kommunalpolitiker gibt, der sich nicht auch in einem Verein engagiert (JA ICH WEISS: Machen wir alle eh nur um Stimmen zu bekommen), sondern halt eine Nummer größer – oder vielleicht besser: eine Nummer anders.

Anstatt die Finanzierung von Vereinsfesten zu planen, nehmen sich Kommunalpolitiker also Haushalte vor. Wir streiten nicht um die Band, die bei der 100 Jahr Feier der Freiwilligen Feuerwehr Musik machen soll, sondern um die Verwendung von 10.000 € im Bereich der Kulturarbeit der Kommune.

Diese Entscheidungen rufen aber im Gegensatz zum Verein ein in der Regel größeres öffentliches Interesse (was nicht die Wichtigkeit der Vereinsarbeit diskreditieren soll) hervor und provozieren gerne auch mal eine öffentliche Wertschätzung bei denen, die die Entscheidungen nicht gut finden, die man nett mit Ablehnung, drastisch mit Verunglimpfung und „Faule-Dumme-Verlogene“-Politikerschelte umschreiben kann. Denn man merke sich: Wenn jemand mit den Entscheidungen der Gemeinderäte nicht leben will und kann, dann sind die Gemeinderäte ganz schnell ein Teil der korrupten Politikerkaste, die sich ihren Audi A6 vom Steuerzahler finanzieren lassen, jegliche Bodenhaftung verloren haben und abends zu Hause beim Geld zählen sich immer wieder denken: „Danke diesem blödem Wahlvolk, dass sie mich und meine zwei Liebschaften durchfüttern.“ Sehr überspitzt, aber wahrscheinlich leider näher an der Realität, als wir (die Kommunalpolitiker) es wahr haben wollen.

Wer also Kommunalpolitik betreibt, muss sich der gespaltenen öffentlichen Diskussion seines Gesagtem und seiner Vorhaben und höchstwahrscheinlich auch seiner Person bewusst sein. Und da zählt es leider wenig, dass man Gutes tun will.

Spannungsfeld 5: Kommunalpolitiker sind ganz wichtig, aber niemand nimmt sich der Rahmenbedingungen an

Kommunalpolitik ist ein Ehrenamt. Mit anderweitigen Vorurteilen hatte ich bereits versucht aufzuräumen. Das heißt, der Kommunalpolitiker erhält kein Geld dafür, was er macht. Halt! Stimmt nicht ganz, er bekommt eine Aufwandsentschädigung. Die liegt bei den Kommunen in meinem Bundesland zwischen 50 und 200 €, je nach Größe der Kommune. Ich bin mir dessen bewusst, dass 200 € eine ganze Menge Geld sind, aber bitte glauben Sie mir, wenn ich aus eigenen Erfahrungen mit Fug und Recht behaupten kann, dass damit der eigentliche Aufwand abgegolten ist – mehr nicht. Man wird nicht alle überzeugen können, dass das nicht zu viel ist, aber es ist in diesem Land noch nie jemand mit der reinen Kommunalpolitik in Gemeinderäten reich geworden.

Was viele viel mehr umtreibt, die Kommunalpolitik machen, ist der Wunsch nach Anerkennung. Anerkennung für den Zeitaufwand, den man betreibt. Anerkennung für das Einsetzen für eine Sache oder für Mitbürger, die Probleme einem Gemeinderat zu tragen. Anerkennung für die 4 stündige Gemeinderatssitzung, die man nach einem 8 Stunden Tag auf Arbeit mit macht. Und ich persönlich wünsche mir am meisten eine Form der Anerkennung, die nicht „Gut gemacht“ lautet, sondern einfach eine differenzierte Wahrnehmung meiner Arbeit und ein bewusstes Auslassen von dem – und an der Stelle wiederhole ich mich – „Alles dumme, faule und korrupte Politiker, die vor der Wahl kommen und versprechen und nach der Wahl nicht mehr gesehen sind“. Das ist mein persönlicher kleiner romantischer Wahrnehmungs- und Anerkennungswunsch – nicht nur für mich, sondern für alle Kolleginnen und Kollegen.

Der Zeitaufwand, den ein Kommunalpolitiker betreibt, kann enorm sein. Er muss in seinem 24 Stunden Tag aber auch Arbeit, Familie und sonstiges Privates unterbringen. Gesetzlich besteht für ehrenamtlich aktive Kommunalpolitiker sogar das Recht darauf, für den Zeitraum der Sitzungen nicht arbeiten zu müssen – er muss das allerdings nach- bzw. vorarbeiten. Aber welcher Arbeitgeber sieht so etwas gerne?

Es bedarf also eines gnädigen Arbeitsgebers, der auch ein Stück weit Verständnis oder noch besser die Einsicht der Notwendigkeit von Kommunalpolitik mitbringt.

Oder man ist Rentner. Um es vorweg zu stellen: in unserer älterwerdenden Gesellschaft sollte auch die Struktur der Interessenvertreter angepasst sein. Aber unsere Gemeinde besteht nicht nur aus Rentnern. Ziel ist es ja junge Familien für ein Leben hier vor Ort zu begeistern, damit unsere Stadt mit einer neuen Generation sich weiter entwickeln kann. Aber bei solch fragwürdigen Rahmenbedingungen ist es schwer als Nicht-Rentner sich vollends einzubringen – auch wenn man noch so will.

Ein nächstes Problem ist die Vereinbarkeit von Familie und Kommunalpolitik. Ich persönlich sehe mich in meinem Gemeinderat immer erschreckt um, wie wenig Frauen, die junge Kinder haben, im Rat vertreten sind. Das ist mehr als Schade. Denn gerade von ihren Erfahrungen kann eine Gemeinde, was zum Beispiel Kinderbetreuung anbetrifft, mehr als profitieren – was vieler Orts bitter nötig ist. Aber bei Sitzungen um 17 Uhr mit Open End ist es mit Kindern schwer zu planen.

Kurz zusammengefasst

Um für politisches Ehrenamt zu begeistern, braucht es verschiedenster Rahmenbedingungen. Das wichtigste ist aus meiner Sicht, Interesse dafür zu wecken, sich in den kommunalpolitischen Prozess einzubringen. Dafür gehört zunächst einmal Aufklärung, was das bedeutet. Dann müssen Strukturen geschaffen werden, die es auch dem „Hobby“-Politiker ermöglichen, an transparenten Entscheidungen mitzuwirken, ohne das er neben seinem 8 Stunden Job nochmal einen zweiten Fulltime-Job hat. Gerade das setzt einen offenen Umgang mit der Verwaltung voraus, die genauso Dienstleister für die Damen und Herren Gemeinderäte wie für alle anderen ist.

Gemeinderäte wären zudem gut beraten, wenn sie sich als strategische Steuerungs- und Kontrollgremien verstehen und nicht in jede kleine Verwaltungsangelegenheit mit hinein regieren wollen. Das kann nur zur Überforderung und Verzettelung führen. Mein Tipp für alle Gemeinderäte und Verwaltungen: Einen einfachen Grundsatzbeschluss fassen, der neben Hauptsatzung und Geschäftsordnung, den Umgang, die Aufgabenverteilung und das Arbeitsprozedere umschreibt.

Was braucht es für einen erfolgreichen Kommunalpolitiker?

Wenn ich das Bild von einem und den Ausblick für einen Gemeinderat sehr überspitzt und zugegebener Maßen sehr pessimistisch gezeichnet habe, soll das in keiner Weise bedeuten, dass ich Menschen, die sich kommunalpolitisch engagieren wollen, davon abraten würde. Man sollte sich aber der Anforderungen, der Spannungsverhältnisse und sonstiger Rahmenbedingungen bewusst sein.

Deshalb an dieser Stelle eine Zusammenfassung, was ein guter Kommunalpolitiker aus meiner Sicht braucht:

Er braucht eine Vision, er braucht ein Ziel. Man sollte keine Politik – auch keine auf kommunaler Ebene – zum Selbstzweck machen. Politik ist ein Streiten um das Ziel und um den Weg! Und ohne ein Ziel kein Weg, und ohne beides kein essentielles Beitragen zur Kommunalpolitik. Dieses Ziel muss sich nicht an den „großen“ Fragen der Zeit orientieren, die zu dem vor Ort auch nur immer in abgewandelter Form wichtig sein könnten. Es können auch kleine, zeitlich befristete Ziele sein. Nirgends hat eine temporäre Vereinigung wie eine Bürgerinitiative eine solche Daseinsberechtigung wie in einem kommunalen Parlament. Gleichzeitig überlebt sich auch nichts so schnell wie der politische Arm einer Bürgerinitiative, wenn das Ziel erreicht oder verfehlt ist. Wer nicht „überlebt“ werden möchte, muss sein Ziel stets überprüfen, darüber diskutieren und es bestätigen oder ändern – und dasselbe mit dem Weg. Das ist im Übrigen auch mein persönlicher Grund, warum gerade Parteien vor Ort eine enorme Chance haben! Genau wie im Großen soll auch auf kommunaler Ebene innerhalb der Gremien der Partei über Weg und Ziel diskutiert werden. Viele Meinungen können dort aus meiner Sicht die Debatte nur befruchten. Es liegt an den Parteien, wie transparent und offen sie diesen Prozess intern und extern steuern und gestalten.

Er braucht einen langen Atem. Auch Kommunalpolitik ist nicht von massenhaften Heureka-Effekten geprägt. Auch hier gilt es, um politische Mehrheiten zu kämpfen und zu streiten. Und manches neue dauert Jahre. Im Gegensatz werden manch offensichtlich wichtige Entscheidungen aus dem Selbstverständnis „das haben wir immer so gemacht“ in Windeseile durchgeboxt und unzureichend diskutiert. Es brauch dafür ein Gespür, das mit der Zeit wachsen kann. Von ersten Enttäuschungen sollte man sich nicht abschrecken lassen. Kommunalpolitik ist wirklich der Ort der meisten sachorientierten Entscheidungen – und manchmal braucht ein triftiges Argument einfach länger zum Wirken.

Er braucht ein dickes Fell und Leidensfähigkeit. Prügel gibt es überall. Innerhalt der Gremien oder in der Öffentlichkeit. Man wird selten dauerhaft für permanentes Für-Etwas-Eintreten belohnt. Aber meistens für vermeintlichen Mist schnell bestraft. Zudem muss man sich verdeutlichen, dass man mit seiner kommunalpolitischen Tätigkeit in der Öffentlichkeit steht und für Medien unterschiedlichster Couleur interessant ist. Kurioser Weise übersehen die aber ganz oft, den Erfolg, der sich bei einem Projekt einstellt, aber selten den Misserfolg oder das Fettnäpfchen, in das man getreten ist – ist wirklich komisch, ist aber wirklich so.

Er braucht Zeit und ein Umfeld, das ihn unterstützt. Ein ehrenamtliches kommunales Mandat frisst Zeit. Es frisst meistens gerade die Zeit, die man gerne mit der Familie und den Freunden teilen würde. Das sollte allen bewusst sein. Darüber sollte man auch im Vorfeld reden. Zudem ist ein Umfeld, dass einem ehrlich einmal Feedback zu seinen Aktivitäten und Ansichten gibt, nicht das schlechteste. In der „Arena der Kommunalpolitik“ kann man solch ehrliches Feedback nicht immer erwarten.

Und er sollte ein positiver Mensch sein. Eigenschaften wie Enthusiasmus, Für-Etwas-Brennen, Leute mitnehmen oder mitreißen zu können, sind Dinge, die nie schädlich sind.

Das sind insgesamt ziemlich große Anforderungen, die ich stelle. Aber man braucht sie nicht wirklich alle haben. Und eigentlich richtig notwendig zur Qualifikation für eine solches Amt ist (zunächst einmal) aus meiner Sicht das Ziel und die Vision, also Punkt 1.

Nur mit Visionen und Zielen kann man vor Ort etwas bewegen. Deshalb: bewegt Euch! Bewegt die Anderen! Wenn Ihr es nicht tut, tun es vielleicht die falschen – eine traurige Vorstellung! Oder es tut vielleicht keiner – eine gruselige Vorstellung!

Mein Appell: Macht (Kommunal) Politik – verschafft Euch Gehör und Anerkennung!

Wer sein Miteinander vor Ort gestalten möchte, der darf gerne nach einem kommunalpolitischen Mandat streben. Man muss sich dafür Gehör bei seinen potentiellen Wählern verschaffen.

Das tue bitte jeder, der dies aus der Überzeugung heraus, etwas ändern zu müssen und zu wollen, möchte, dann auch! Und macht es laut, so dass die um Euch herum auch etwas davon mitbekommen und vielleicht sich anstecken lassen.

Aber verschafft Euch auch anderweitig Gehör. Sagt jedem der Euch kritisiert oder blöd anguckt, weil ihr Kommunalpolitik macht, dass ihr wisst, dass ihr bekloppt seid, in dem ihr Eure Freizeit opfert, um mitzumachen und mitzugestalten.

Sagt doch mal denen, die plakativ immer wie wieder die Bedeutung der Kommunalen Familie unterstreichen, wie allein ihr euch manchmal fühlt im Wust der Gesetze und Regelungen, die Euch als Gemeindevertreter, in Eurem Willen Gutes tun, einschränken.

Erzählt vielen, was ihr macht. Wer Euch aufmerksam zuhört, wird auch viel mehr Staunen und Schulterklopfen. Traut Euch, über das, was Ihr tut und vorhabt, zu reden.

Und gönnt Euch die Anerkennung, die Ihr verdient habt. Bitte! Ihr macht das nicht für Geld, ihr macht das alles um etwas zu verändern. Das kann Euch aber nur dann über manches trostloses Tal helfen, wenn die Leute sehen, was ihr leistet und erreicht! Fordert Euch die Anerkennung ein! Verdient habt Ihr sie!

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